Diakon Johann Schnürer berichtet dem Sozialausschuss über seine Tätigkeit als Klinikseelsorger

hans schnuerer

Bedingt durch fundamentale Veränderungen in der Arbeitswelt und wachsende psychosoziale Belastungen in Gesellschaft und Familie sind psychische Erkrankungen  mittlerweile der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeit. Oft begleitet vom Stigma des persönlichen Versagens, von Schuldzuweisungen und Ausgrenzung sind  Depressionen auf dem Weg, zur Volkskrankheit Nummer eins zu werden, so die Aussage von Diakon Johann Schnürer.

Er begleitet als Klinikseelsorger im Klinikum Nordschwarzwald täglich seelisch erkrankte Menschen in ihren Nöten und Ängsten. Während der Sitzung des Sozialausschusses vom 22.04.09 beschrieb er anschaulich seinen Arbeitsplatz, gab eine Vorstellung über die Auswirkungen psychischer Störungen und einen Einblick in seine Aufgaben als Theologe im Umgang mit seelisch erkrankten Menschen.

Zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung des Großraumes zwischen Karlsruhe und Stuttgart wurde 1962 ein Großklinikum mit ursprünglich 1050 Betten geplant. Nach längerer Suche gelang es, mit der ehemaligen Staatsdomäne Lützelhardter Hof auf Gemarkung der Gemeinde Hirsau einen Standort zu finden. Während der Planungs- und Bauzeit  trat ein grundsätzlicher Wandel in der Behandlung psychisch Kranker ein. Durch  zentrums- und gemeindenahe Psychiatrie, teilstationäre Behandlung in örtlichen sozialpsychiatrischen Diensten, wie z. B. in Böblingen, Eutingen und Leonberg, konnte die Bettenkapazität um rund 50 % auf eine therapeutisch und wirtschaftlich vertretbare Betriebsgröße reduziert werden. Parallel zum Fortschritt in der Psychiatrie wurde auch das Zentrum kontinuierlich weiterentwickelt. Therapieergänzungen wie Sport- Physio- oder verschiedene Arbeitstherapien sollen die Patienten in der oft gestörten eigenen Körperwahrnehmung, sichtbar in Selbstaggressionen, stärken. Neben all den positiven neuen Ansätzen kann dennoch bis heute nicht auf Zwangsmaßnahmen wie Fixierung und Isolierzimmer verzichtet werden.

2008 kam eine neue Fachabteilung für forensische Psychotherapie mit 100 Betten hinzu, vorab 2002 eine psychiatrische Ambulanz, die überwiegend stationäre Patienten in Kooperation mit den örtlichen Diensten und niedergelassenen Ärzten des Einzugsgebietes versorgt.

Jeder, der bedürftig ist, muss aufgenommenen werden. Hierfür stehen im Normalfall 26 Betten zur Verfügung. Bei starkem Andrang ist es auch nötig, 4-Bett-Zimmer oder Flurgänge zu belegen. Diese Überbelegungen bekommt die Klinik nicht bezahlt. Hier muss auch erwähnt werden, dass durch Einsparungen im Gesundheitssystem in den letzten Jahren sozialpsychiatrische Dienste eingestellt wurden. Dadurch können Menschen nach Klinikaufenthalten immer weniger aufgefangen werden, vor allem dort, wo Anlaufstellen oder starke menschliche Kontakte vor Ort fehlen. Sie entwickeln sich leicht zu sog. „Drehtürpatienten“, wenn sie in ihrem alten Umfeld nicht mehr klarkommen. Ein Grund  für eine Wiedereinweisung in die Klinik ist häufig auch die Überschätzung des eigenen Zustandes. Hier zeigt sich ein Aspekt der Unberechenbarkeit dieser Krankheit. Werden in Eigenregie Medikamente abgesetzt,  kann diese sofort wieder akut sein. Leider haben Psychopharmaka noch immer starke Nebenwirkungen. Übermäßige Gewichtszunahme ist noch eine der harmlosesten Auswirkungen.

Häufig zeigt sich  eine große Differenz zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung bei den Erkrankten. Lange Zeit wird versucht, die Krankheit zu verdrängen oder geheim zu halten. Wie verständlich, wenn wir bedenken, wie schnell von „Verrückten“ gesprochen wird, wie leichtfertig dumme Witze gerissen werden und wie schwer es den meisten von uns allen fällt, mit Erkrankungen der Seele und des Geistes umzugehen, obwohl ein jeder davon getroffen werden kann. Wie viel einfacher ist es da, z. B. mit einem Beinbruch zu leben, der sichtbar durch einen Gipsverband gezeigt werden kann und nach einiger Zeit verheilt ist! Durch längere Zeit des Abwartens und des nicht Wahr-haben-wollens vergehen zwischen Ausbruch einer psychischen Krankheit und Diagnose manchmal bis zu 8 Jahren.

Vielleicht haben Sie sich auch schon mal gefragt: Warum erkrankt ein Mensch und ein anderer in ähnlich schweren Lebensbedingungen nicht? Häufig ist der Ausbruch ein Indiz für die empfindlichste Stelle, die feinfühligste und verletzlichste Seele in einem familiären oder gesellschaftlichen System. Für Partner und  Familienmitglieder ist die Erkrankung eines Angehörigen oft ein jahreslanges Martyrium, so Johann Schnürer. Auch bei diesem Personenkreis ist Hilfe und Beistand notwendig.

Was bedeutet Seelsorge in einem solchen Umfeld und wie wird sie geleistet? Was erwarten die Patienten von einem theologischen Begleiter und was braucht er, um seinen Aufgaben und sich selbst gerecht werden zu können? Auf dem Klinikgelände gibt es einen Andachts- und Gottesdienstraum, Gruppen- und Einzelgesprächsangebote, ebenso Gebets- und Besinnungszeiten auf den Stationen. Diese Aufgaben teilen sich eine evangelische Pfarrerin und der katholische Diakon. Die Angebote gelten für alle, die diesen Kontakt suchen. Die Konfession ist für den Gesprächssuchenden in der Regel zweitrangig. Die Gottesdienste werden im Wechsel gehalten und unterscheiden sich von vielen Gemeindegottesdiensten dadurch, dass persönliche Betroffenheit direkter und unverstellter für alle Teilnehmenden erfahrbar ist.

Von einem siebenjährigen Kind bis hin zum Greis ist jede Altersstufe im Klinikum vertreten. So breit gefächert wie diese Altersspanne sind die einzelnen Bedürfnisse. Es kann sich um Hausaufgabenhilfe handeln, Weiterführung von Kommunion- oder Firmunterricht bei Jugendlichen, Glaubensfragen und persönliche Probleme in anderen Altersstufen. Dennoch lassen sie sich zusammenfassen und auf das Wesentliche reduzieren. Es braucht ein offenes Herz und offene Ohren. Johann Schnürer wünscht sich an manchen Tagen mindestens vier davon, um allen gerecht zu werden. Sich einlassen können auf die Ängste und Traurigkeiten der Kranken ist das Eine, das Andere aber ist ebenso wichtig, die Abgrenzung, die Distanz, um sich selber nicht zu verlieren.

Der Weg von der Gefängnis- zur Klinikseelsorge war kein schneller Entschluss für ihn, es war ein Weg der Berufung, ein Horchen auf den Willen Gottes. Der Sozialausschuss wünscht Johann Schnürer viel Kraft. Für Unterstützung in Notfällen gibt es von der Diözese Rottenburg jährlich € 600,-. Dieser Betrag reicht nicht immer aus. Hier wird der Sozialausschuss bei Bedarf helfen.

Leider können in diesem Bericht  nicht alle Informationen zum Klinikverbund weitergegeben werden. Falls Sie darüber hinaus interessiert sind, finden Sie weitere Fakten auf der Internetseite www.klinikum-nordschwarzwald.de

Für den Sozialausschuss Hanne Koch