Am 31. Januar dieses Jahres war Frau Monika Becker, Sozialpädagogin und Psychotherapeutin und seit 2001 Leiterin der Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt, Böblingen –„thamar“ genannt – zu Gast im Sozialausschuss. Sie hatte uns sehr viel Interessantes zu berichten. Thamar existiert seit 20 Jahren. Die Beratungsstelle hat ihre wesentliche Aufgabe in der Prävention, hilft in Krisensituationen, bei Strafverfahren und arbeitet eng mit verschiedenen Institutionen, die sich mit der Jugendarbeit beschäftigen, zusammen.
Merkmale sexueller Gewalt Die meisten Übergriffe beginnen im Vorschulalter, zuweilen auch schon im Säuglingsalter. Der größere Teil der Täter ist männlich, stammt aus dem sozialen Nahraum, 1/3 sind Jugendliche. Zugenommen hat sowohl beim Opfer als auch beim Täter Alkoholeinwirkung, häufig kombiniert mit K.O.-Tropfen beim Opfer sowie eine Aufnahme von Übergriffen auf neue Medien, z.B. Handys. In den Täterstrategien sind die Planung dieser Handlungen, Manipulation der Opfer, Wiederholungstaten, Verpflichtung der Opfer zur Geheimhaltung sowie die Ausnutzung von Beziehungen zu finden. Die betroffenen Jungen und Mädchen erleben eine Grenzverletzung, einen Vertrauensverlust, haben Schuld- und Schamgefühle sowie Angst und Ohnmachtsgefühle, sie erleiden Zweifel an der eigenen Wahrnehmung und sind sprachlos.
Beratung Es finden pro Jahr ca. 200 Beratungen von Kindern und Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen sowie deren Bezugspersonen statt, dabei nehmen die 6 - 13-Jährigen die größte Gruppe ein. Der Anteil der Jungen liegt dabei aktuell bei über 20 %. Die Beratung läuft häufig über die Bezugspersonen, bei über Zwölfjährigen werden diese selbst gleich mit eingeladen. Das vorrangige Ziel der Beratung ist die Beendigung der sexuellen Gewalt sowie Hilfe für die Betroffenen. Häufig sind die Täter im nahen Umfeld zu finden: Väter oder and. Männer mit Vaterfunktion machen 24% aus, 21% sind weitere Bekannte der Betroffenen (andere Verwandte, Freunde/ Lebenspartner, Personen aus Einrichtungen…). Der Thamar-Notruf ist werktags ab 20.00 h, am Wochenende rund um die Uhr geschaltet (07031/22 20 66). Am Telefon sind Ehrenamtliche, die dahin gehend geschult sind, erste Anlaufstelle zu sein. Sie besprechen eingegangene Telefonate mit einem Hauptamtlichen. Auch Vergewaltigung in der Ehe ist ein Thema bei Thamar; evtl. findet eine Vermittlung in ein Frauenhaus statt. Bei Verdacht auf Gewalt im Bekanntenkreis kann man ebenfalls auf Thamar zugehen.
Intervention zum Schutz der Betroffenen Die Beraterin verschafft sich Klarheit über das Netz, in dem sich das Opfer befindet: zur Bezugsperson, der Schule oder dem Kindergarten, der Jugendarbeit, der Polizei bzw. der Justiz, dem Gesundheitswesen, z.B. dem Psychiater, der Jugendhilfe und dem Jugendamt. Im Gespräch mit dem Betroffenen wird überlegt, was ihm jetzt gut tun würde – wobei Jungen eher ablenken –, ob es zum Beispiel die Möglichkeit gibt, an einem anderen Ort zu leben. 1/3 der Fälle werden angezeigt, was aber für das Opfer eine große Belastung darstellt, z.B. auf Grund der Dauer des Verfahrens. Ein Opferschutz ist nur schwer realisierbar; einfach ist es nur dann, wenn der Beschuldigte geständig ist. Befindet sich ein Täter in Untersuchungshaft – das ist die Ausnahme -, so geht es schneller, da diese nach ½ Jahr beendet werden muss. Sexuelle Delikte am Arbeitsplatz sind sehr einzelfallabhängig. Auszubildende bekommen ggf. einen and. Ausbildner. Es gibt nur schlechte Interventionsmöglichkeiten in einer kleinen Firma gegenüber dem Chef. Bei größeren Institutionen, Studentinnen an Hochschulen, Schulen und Kirche wird Betroffenen meist nicht geglaubt. Bei vielen drogenabhängigen Frauen ist Gewalterfahrung die Ursache. Je nach eigener Vergangenheit haben jugendliche Mädchen keine wirkliche eigene Wahrnehmung mehr; dann kommt es vor, dass Jungen (Täter) umfangreicher gestehen als von den Mädchen beschuldigt wurde. Thamar arbeitet eng mit der Kripo zusammen, insbesondere dann, wenn andere Kinder gefährdet sind. Thamar berät die Betroffenen, ob die Polizei eingeschaltet werden soll. Viele werden auch direkt von der Polizei zu Thamar geschickt. Bei der Polizei erfolgt ein langes, detailliertes Erzählen, das trotz geschulter, einfühlsamer Vorgehensweise der Polizei die Betroffenen sehr belastet. Nach dem neuen Gewaltschutzgesetz darf sich der Täter dem Opfer nicht nähern. Bei dem Täter handelt es sich häufig um keine wirklich abschreckende Erscheinung und so stehen häufig viele KlassenkameradInnen nicht mehr hinter dem betroffenen Mädchen. Es gibt wenig (körperliche) Beweise. Wenn Geständnisse auch nicht selten sind, so erleben Opfer aber auch häufig, dass den Tätern nichts geschieht, da sie sich selbst durch Alkoholkonsum bedingt nicht mehr an Beweise erinnern können. Vor Gericht gilt dann „Im Zweifel für den Angeklagten“; auch die Verjährung stellt hier ein Problem dar. Junge Kinder können sich nicht genau mitteilen, insbesondere, wenn der Missbrauch schon gehäuft aufgetreten ist.
Prävention Die Prävention setzt sehr auf Multiplikatoren, z.B. Jugendgruppen, Schulklassen (bes. 3. und 4. Klassen). Vorbeugende Beratung der Erwachsenen ist effektiver, z.B. an Elternabenden über die Erziehung und den Umgang von Kindern. Kinder sollten wissen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssen. Sie sollten das Vertrauen zu den Eltern haben, ihnen auch schon Unwohlsein im Kontakt mit bestimmten Menschen mitzuteilen. Klare Regeln im Umgang mit den Kindern in den Einrichtungen sind wichtig, keine Einstellung von Menschen dagegen der falsche Weg. Da die Versexualisierung der Medien zunimmt, sollten Eltern auch über Medienkompetenz verfügen. Kooperationsbereitschaft von Schulen ist häufig, aber nicht immer vorhanden; nach Vorkommnissen melden sich die Schulen oft. Ein Teil der Prävention sind Schulungen von Jugendleitern. Da eine wohnortnahe Beratung sinnvoll ist, hat die Beratungsstelle eine Außenstelle in Leonberg und finden Beratungen in Einrichtungen im ganzen Landkreis statt. Die Präventionsarbeit erreicht bis zu 700 Erwachsene und bis zu 650 Kinder und Jugendliche jährlich. Seit 3 Jahren wird eine online-Beratung durchgeführt, die neue Zielgruppen erreicht, überwiegend solche, die bisher niemandem davon erzählt haben. Diese Form ist anonym und für die Jugendlichen zeitgemäß. Sie wird über die Fernsehlotterie finanziert.
Finanzierung Die Finanzierung erfolgt über den Landkreis. 70 % der Tätigkeit nimmt die Prävention ein. Sie ist sehr belegt, weit im voraus ausgebucht. Es bedarf eines großen Zeitaufwandes Eigenmittel aufzutreiben. Dabei wäre aber mehr Personal sehr sinnvoll!! Spenden belaufen sich auf 35 00 € (u.a. Kollektengelder, die „Miteinander-füreinander-Aktion des Gäubotens), Bußgelder stellen eine weitere Einnahmequelle dar.
Weitere Informationen zu Thamar finden Sie im hier: http://www.thamar.de/
Abschluss Nach einigen Fragen und einem sehr angeregten Gespräch über ihre Arbeit überreichte Herr Bühler im Namen unserer Kirchengemeinde Frau Becker einen Scheck über 400,- € , den diese erfreut und dankbar entgegen nahm. Für den Sozialausschuss dankte er ihr für die informativen Ausführungen und wünschte ihr alles Gute für ihre weitere wertvolle Arbeit bei Thamar.
Für den Sozialausschuss: Elke Bergmann
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