KÖNIG ADVENTUS UND DIE VERLORENE WEIHNACHTSGESCHICHTE

Herbert Adam, Bischöfliches Ordinariat

Weihnachten: Das Kind

In der Nacht vor Weihnachten konnte niemand gut schlafen im königlichen Schloss. Das Tüpfelchen auf dem „i“, das fehlte noch: Die Botschaft des Engels.

Der König lief schon vor dem Frühstück aufgeregt im Schlosshof hin und her. Sie waren so kurz vor ihrem Ziel. Und heute ist Weihnachten. „Wenn wir die richtige Weihnachtsgeschichte nicht komplett finden,“ so dachte er sich, „dann wird Weihnachten ausfallen – so lange bis die Geschichte komplett ist! Basta!“

In diesem Moment kam eine junge Familie in das königliche Schloss: Eine Frau und ein Mann mit einem kleinen Baby im Arm. „Wir sind auf der Reise“, sagten sie. „Wir müssen noch weit laufen. Können wir heute hier bleiben? Vielleicht habt Ihr auch ein wenig zu essen für uns. Unsere Vorräte sind verbraucht, und wir haben kein Geld mehr.“ „Ach, schert euch weg!“, rief da der König voller Zorn! „Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um dahergelaufene Bettler zu kümmern. Ich suche die Weihnachtsgeschichte! Aus meinen Augen!“ Die junge Familie kehrte um und ging durch das Tor hinaus.

König Adventus lief durch das ganze Schloss, so, als wäre irgendwo der fehlende Schluss der Geschichte versteckt. Er suchte in der Schatzkammer und sah die bunten Edelsteine, die glitzernden Goldketten und Truhen voller wertvoller Münzen. All das gehörte nicht in die Weihnachtsgeschichte. In der Küche fand er allerlei Leckereien und es duftete herrlich. Aber auch das war nicht, was er suchte. Hoch oben im Turm schaute er weit über das Land. Er sah Dörfer, Wiesen und Wälder - und nichts fiel ihm ein, was zu Maria und Josef passte.

Der Nachmittag verging, und langsam wurde es dunkel. Der König fand keine Ruhe. Schließlich lief er noch einmal um das ganze Schloss herum. Da hörte er ein eigenartiges Geräusch. So was hatte er noch nie gehört. Es gluckste und quietschte. Aus dem alten Gänsestall hinter der Scheune, da kam es her. Der steht schon ein paar Jahre leer. Hatte sich ein Wiesel oder ein Marder dort ein Nest gebaut? War es vielleicht ein Tier, das er nicht kannte? Oder lachte da jemand – mit einem hellen, lustigen und freundlichem Ton? Seine Neugierde ließ ihn nicht los. Adventus musste sofort nachschauen. Er schlich sich vorsichtig an. Der Eingang zum Stall war fast so niedrig wie eine Katzentür. Um da hineinzukommen, musste er sich bücken, den Kopf neigen und sich ganz klein machen. Und weil Adventus vergessen hatte, dass er seine Krone trug, fiel sie ihm vom Kopf und kullerte auf dem Boden neben den Stall. Aber das war ihm jetzt völlig egal. Die Neugierde war größer als seine Eitelkeit. Er öffnete die kleine Tür und krabbelte auf allen Vieren in den alten Stall.

Nachdem sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, sah er in der Ecke den jungen Mann und seine Frau mit dem Baby auf dem Arm. Die Köchin hatte die drei durch einen Hintereingang ins Schloss zurückgeholt und ihnen zu essen gegeben. Dann hatte sie die junge Familie hier im Stall versteckt. Zuerst wollte der König zornig aufschreien: „Was sucht ihr hier! Habe ich euch nicht weggeschickt!?“ Aber dann fing das Kind wieder an zu lachen und schaute ihn freundlich an.

Nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die ganze Weihnachtsgeschichte bekam plötzlich einen Sinn: Das Kind, das war es, was noch fehlte. Ihm wurde klar: Wer die Weihnachtsgeschichte verstehen will, der muss sich ganz klein machen und in den Stall kommen. Ob Hirte oder König. In einem kleinen Kind schenkt uns Gott einen neuen Anfang.

„Wir können Weihnachten feiern!“, rief er ganz laut und fröhlich durch den Schlosshof und tanzte vor Freude. „Richtet den großen Festsaal! Alle dürfen kommen!“

Vor dem Mahl sah man den König immer wieder, wie er auf ein Blatt Papier ein paar Notizen kritzelte und lächelte. Aber er verriet niemand, was er da aufschrieb.

Einen Ehrenplatz am Festtisch bekam die Köchin. Ohne sie hätte Adventus die Geschichte niemals gefunden. Daneben saßen Maria, die Magd und Josef der Laufbursche. Und dort, wo sonst der König saß, durfte jetzt die junge Familie Platz nehmen. Die Mutter mit dem Kind und der Vater. Nachdem das Mahl beendet und der Weihnachts-Schafs-Käse-Kuchen verspeist war, stand Adventus auf. Er schaute auf seinen Zettel und verkündete feierlich: „Ich möchte euch heute die Weihnachtsgeschichte erzählen, die richtige Weihnachtsgeschichte. Mir ist alles wieder eingefallen: